Landestagung Ethik: Anerkennung und Gerechtigkeit in der transkulturellen Gesellschaft

Seit einigen Jahren bin ich Mitglied im Fachverband Ethik in Baden-Württemberg. Es gab früher einen Fachverband in Sachsen, der allerdings vor einigen Jahren einschlief, um so erfreuter war ich, dass der Fachverband sich in BW aktiver zeigt. Bisher nahm ich von diesem Fachverband kaum etwas wahr, bis mich Mitte April eine Mail erreichte, die an die Landestagung erinnerte. Da die Anmeldefrist bereits 2 Wochen später endete, entschied ich mich recht spontan und überwies den Tagungsbeitrag. Im Hinterkopf hatte ich die guten Reader, die die früheren Landestagungen anscheinend begleiteten. Nun liegt die Tagung bereits hinter mir, sie fand gestern und heute im „Haus auf der Alb“ in Bad Urach statt. Vom Haus, einem denkmalgeschützten Haus im Bauhaus-Stil hatte man einen wunderbaren Blick auf den Albtrauf der Schwäbischen Alb.

Albtrauf

Dem Programm nach freute ich mich auf zwei spannende Tage und regen Austausch mit anderen Ethikkollegen in meinem Bundesland. Die Teilnehmerliste umfasste knapp 30 Personen, von denen ich keine einzige persönlich kannte.Lediglich Klaus Goergen, der Vorsitzende des Verbandes ist mir durch einige Bücher in meinem Regal ein Begriff. Die Tagung begann mit seinem Einblick ins Thema in Form von Annäherungen an die Begriffe des Tagungsthemas: Anerkennung und Gerechtigkeit in der transkulturellen Gesellschaft. Meine Notizen habe ich in Form von Sketchnotes festgehalten. (Diese Einleitung dauerte etwa 1h, ich habe für mich also das Wesentlichste in dieser Form festgehalten. Ich weiß nicht so recht, ob das für andere, die den Vortrag nicht gehört haben, nützlich ist.)

Landestagung1

Anschließend sprach Dr. Necla Kelek über „Integration und Identität in der transkulturellen Gesellschaft“. Obwohl sie angekündigt wurde mit den Worten „ihre Texte verwenden wir ja ständig im Ethikunterricht“ war sie mir bis gestern ehrlich gesagt kein Begriff. Sie beschrieb und analysierte die Situation von Migranten in Europa, teilweise mit Schwerpunkt Deutschland oder noch eingegrenzter auf Berlin. Frau Kelek stammt aus der Türkei und lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Ihr aktuelles Buch heißt „Chaos der Kulturen.“ Sie sprach die Hindernisse und Möglichkeiten von Integration an – sowohl auf Seiten von Migranten als auch auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft. Interessant fand ich ihr Beispiel zur Bedeutung des Wortes Respekt. Habermas versteht darunter, dass ich die Meinung eines anderen anerkenne, auch wenn sie mir nicht passt. In der Türkei steht dahinter ein hierarchisch (und patriarchalisch) organisiertes Weltbild, welches die Anerkennung von Allah, Türkei, Großvater, Vater und Onkel (in dieser Reihenfolge) fordert. Die verschiedenen Dimensionen dieser Bedeutung (und vieler anderer Begriffe) müssen im Dialog erst klar und transparent gemacht werden, sonst ist Integration zum Scheitern verurteilt.

Am heutigen Sonntag sprach zunächst Dr. Stefan Wellgraf über „Das Konzept der Anerkennung – am Beispiel Berliner Hauptschüler“. Er stellte seine empirischen Forschungen zur Anerkennung und Missachtung an einem konkreten Beispiel vor. Als Ethnologe brachte er eine andere, bereichernde Perspektive in den Diskurs als die anwesenden Pädagogen und Philosophen.

Für mich am interessantesten war der 3. Vortrag bei dieser Tagung von Dr. Jan Müller über „Anerkennung und Anerkannt-sein – Grenzen der Anerkennungstheorie“. Dieser Vortrag stützte sich auf den Anerkennungsbegriff von Axel Honneth, zeigte seine Schwächen auf und versuchte eine Neujustierung. Die Formulierungen waren sehr präzise und der Vortragsstil war – trotz der Komplexität des Themas – sehr anschaulich und gespickt von Zitaten und einprägsamen Sätzen, die ich mir gern alle gemerkt hätte und in meinen aktiven Sprachgebrauch übernommen hätte. Es zeigte mir vor allem, dass auch Philosophen gute Vorträge halten können. Auch hier wieder meine Sketchnotes dazu:

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Soweit zu den Inhalten der Tagung. Obwohl mich nicht primär das Thema hinzog, war es eine sehr bereichernde Veranstaltung. Im Unterrichtsalltag geht die akademisch-philosophische Auseinandersetzung mit Themen etwas unter, daher war es mir eine Freude, für diese zwei Tage konzentriert daran teilnehmen zu können. Am Freitagabend fand noch die Vereinssitzung mit Vorstandswahlen statt. Anschließend traf man sich im Keller des Hauses zum gemütlichen Ausklang und vertiefenden Gesprächen. Obwohl ich niemanden kannte, kam ich recht schnell ins Gespräch, auffällig war die herzliche Atmosphäre und die Offenheit der anderen Teilnehmer. Diese ist vergleichbar mit dem, was ich von den ZUM-Mitgliedertreffen her kenne.

Von Barcamps „verwöhnt“ fehlte mir jedoch ein wenig der Einblick in die Interessen der anderen Tagungsteilnehmer. Mir hätte eine kurze Vorstellungsrunde schon gereicht, in der jeder seine Fächer und aktuellen Schwerpunkte, die ihn beschäftigen, mitteilt. Das geht in 2 Sätzen und hätte die Kommunikation für mich etwas erleichtert. Aus den Pausengesprächen konnte ich heraushören, dass es noch andere (so wie mich) gab, die vorher nie bei einer Fachverbandstagung waren, andere jedoch in regem Austausch miteinander stehen.

Von der Tagung nehme ich den festen Vorsatz mit, mich zur nächsten in 2 Jahren weniger spontan und mit voller Absicht anzumelden. Außerdem habe ich eine ganze Liste mit Büchern, die gelesen werden wollen.

Der Reader übrigens wurde lediglich verteilt und aus Zeitmangel kaum darauf eingegangen. Darin findet sich die Annäherung an die Begriffe von K. Goergen, Grundlagentexte und zwei Unterrichtsreihen zum Thema. Sicher wird er auch bald online stehen.