Gelesen: nicht kalt genug

Bernhard Setzwein schreibt über Friedrich Nietzsches Aufenthalte während 7 Sommer in Sils-Maria, im Oberengadin. Dabei zeichnet er das Bild eines wunderbar schrulligen Professors, der in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts kurz vor Vollendung seines Werkes steht und weniger systematisch, mehr chaotisch und inkohärent vorgeht. Er beschreibt, wie Nietzsche sich immer mehr verkriecht, vor der Welt versteckt, sich den selbst finanzierten Druck der Bücher vom Munde abspart und gleichzeitig darunter leidet, dass seine Werke nicht anerkannt werden. Amüsant zu Lesen ist das Verhältnis an Mutter und Schwester, deren Briefe er widerwillig liest und beantwortet, die beigelegte Wurst aber gern annimmt.
Der Titel entstammt der Aussage, dass es zum Denken kühl sein muss, aber selbst in 6000Fuß Höhe scheint es nicht kalt genug. Er genießt dennoch die kühle Bergluft, die er bei seinen Spaziergängen um den Silser See und die benachbarten Täler findet. Im 8. Sommer bleibt Nietzsche fern, es ist das Jahr 1888, die geistige Umnachtung erfasst ihn und er wird von der Mutter in Naumburg gepflegt.

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Nebenbemerkung aus Lesersicht: ich las das Buch bereits zum 2. Mal und wieder mit Genuss. Leider habe ich mein 1. Exemplar irgendwem verborgt uns nicht wieder bekommen. Deshalb kaufte ich es (gebraucht) neu.
Nebenbemerkung aus Geographensicht: als Nietzsche dort weilte, war das Oberengadin vom Tourismus kaum erschlossen und hauptsächlich agrarisch geprägt. Heute ist der Tourismus wichtigstes Standbein der Region, St. Moritz ist der wohl bekannteste Ort.