ohne Religion heißt nicht: ohne Werte

Über globale Ethik & die Umsetzung im Alltag

 

Im September kommt der Dalai Lama nach Frankfurt. Aus diesem Anlass rief das Blog ethik-aktuell.de zu einer Blogparade mit dem Thema „Wir brauchen eine globale Ethik“ auf. (Einsendeschluss ist heute.)

Anfang des Jahres las ich das Gespräch zwischen Franz Alt und dem Dalai Lama „Ethik ist wichtiger als Religion“ (als vollständiges pdf verfügbar). Bereits der vorausgehende Appell enthält alle wesentlichen Thesen, das Interview selbst ist sehr vergnüglich. Es geht genau wie im Aufruf zur Blogparade um die Frage, welche Werte unsere Gesellschaft und unser alltägliches Handeln prägen (sollen). Außerdem geht es darum, in welchem Verhältnis die Religionen zueinander stehen bzw. welche Rolle sie spielen sollten, damit ein friedliches Zusammenleben möglich ist. Beide Fragen beschäftigen mich (nicht nur berufsbedingt) natürlich sehr und ich habe das große Glück, sie in die Schule zu tragen und mit meinen Schülern diskutieren zu dürfen (und diese weiter im Ethikblog). Die Frage nach dem Verhältnis der Religionen lasse ich in diesem Beitrag etwas außer Acht, denn das wäre einen eigenen Blogbeitrag wert.

Die Werte, die der Dalai Lama für das Zusammenleben fordert sind Güte, Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, Gewaltfreiheit, Mitgefühl, Fürsorge, Respekt vor anderen Lebewesen sowie Friedenswille. Diese leitet er aus dem gesunden Menschenverstand sowie aus den verschiedenen Religionen ab. Hans Küng geht mit seinem Projekt Weltethos ähnlich vor. Er untersuchte die Gemeinsamkeiten der Religionen und stellte einige grundlegende Regeln auf, denen alle Menschen zustimmen müssten – und wenn sie danach leben, es weniger Konflikte geben müsste. Auch er spricht von Ethos / Ethik. Kurze Begriffsklärung: Ethik kommt aus dem Griechischen. Dort gibt es zwei Bedeutungen, je nachdem mit welchem e man es am Anfang schreibt. Die eine Schreibweise (ἦθος) bedeutet Charakter – also, mit welchem Motiv, welcher Haltung ich Handlungen ausführe. Die zweite Schreibweise (ἔθος) meint mit Gewohnheit, Brauch die überlieferten Traditionen. Im Lateinischen entspricht dieser Schreibweise „mos“, aus dem unser „Moral“ hervor ging. Diese Moral sind also die gelebten Werte bzw. deren Überlieferung von einer Generation zur nächsten. Ethik dagegen steht für eine individuelle Entscheidung so und nicht anders zu handeln und sich dessen auch bewusst zu sein. Das Projekt Weltethos und auch die globale Ethik des Dalai Lama stehen also für eine konkrete Entscheidung jedes einzelnen. 

Für mich haben die vom Dalai Lama angesprochenen Werte noch eine andere Dimension. Sie können der Pluralität der Werte und der damit verbundenen scheinbaren Willkürlichkeit entgegengesetzt werden. Denn: ohne Religion heißt nicht: ohne Werte. Das wird auch in dem oben verlinkten Text sehr deutlich (jetzt bin ich doch beim Thema Religion…). Auch Atheisten wie ich leben Werte, die das Handeln leiten. Gerade den Alltag mit Kindern (in der Schule und eigene) begleiten oft Fragen, auf welchen Grundlagen Entscheidungen getroffen werden, welche Haltungen  (ἦθος) ich vermitteln und weitergeben möchte. Ganz praktisch ist es bei mir beispielsweise die Entscheidung, saisonal, regional und bio (Priorisierung nach Reihenfolge.) zu kaufen um den Planeten auch für die Urenkel noch lebenswert zu hinterlassen. Damit bin ich ganz nah bei Hans Jonas und seinem ökologischen Imperativ. Auch alle anderen angesprochenen Werte finden Begründungen in der Philosophiegeschichte. Ich muss sie für mich und meinen Alltag anwendbar machen – und das ist Arbeit: Denkarbeit, Lebenserfahrung, praktisches Ausprobieren. Anders als die Religionen, die die praktische Anwendung oft bereits mitliefern. Insofern bietet der Dalai Lama mit seinen Anregungen und Appellen einen Mittelweg zwischen Philosophie und Religion.